Datenkraken wie MyHeritage, AncestryDNA, 23andMe und Co – das Angebot scheint verlockend. Ein wenig Speichel in einem Röhrchen an ein Analyselabor geschickt, und schon wenig später sollen wir Erstaunliches über unsere ethnische Herkunft erfahren und vielleicht sogar auf ungeahnte Verwandtschaftsbeziehungen stossen. Alles dank eines Testkits, das uns zu einem überraschend günstigen Preis angeboten wird, so dass man nicht zweimal überlegen muss.
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Der Einstiegspreis bei MyHeritage liegt derzeit unter 50 Franken, was zunächst verblüffend günstig erscheint. Doch wie bei vielen scheinbar günstigen Angeboten ist der wahre Preis nicht sofort erkennbar. Denn auch hier gilt: Man bezahlt mit seinen Daten. Die Informationen, die durch diese Tests gesammelt werden, bieten den Unternehmen wertvolle Einblicke – von genetischen Profilen bis hin zu persönlichen Details, die später für Marketingzwecke oder sogar für den Weiterverkauf genutzt werden könnten.
Testergebnisse: Ernüchternde Wahrheiten und ungenaue Resultate
Die Resultate von DNA-Testkits können zwar beeindruckend wirken, doch sie sind längst nicht immer korrekt. Eine Untersuchung von NBC zeigte, dass ein Anbieter nicht einmal die DNA eines Labradors korrekt von der menschlichen DNA unterscheiden konnte, was Fragen zur Zuverlässigkeit solcher Tests aufwirft. Solche Fehler werfen Fragen auf, insbesondere bei den Angaben zur Gesundheit oder sogar zu angeblichen Begabungen. Denn nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist es noch immer nicht belegt, dass Talent oder Intelligenz eindeutig genetisch vererbt werden – vielmehr spielen Kultur und Erziehung eine weit grössere Rolle.
Die Ergebnisse zur Abstammung sind oft fragwürdig. DNA-Tests können zwar bestimmte genetische Merkmale identifizieren, doch sie bieten keine genauen Angaben darüber, wo unsere Vorfahren tatsächlich lebten – oft basierend auf den genetischen Daten anderer Menschen. Ein solches Ergebnis könnte lediglich darauf hinweisen, dass irgendwo in der Verwandtschaft in der Vergangenheit jemand aus einer bestimmten Region stammte. Ein präzises Bild unserer kulturellen Prägung liefert es jedoch nicht.
Da unsere Spezies genetisch nahezu identisch ist und die Unterschiede nur etwa 0,1 Prozent des gesamten Erbguts ausmachen, lassen diese Tests keine verlässlichen Rückschlüsse auf unsere kulturelle Herkunft zu.
Was die Tests jedoch zuverlässig ans Licht bringen können, sind schockierende Familiengeheimnisse, die selbst traumatisierende Auswirkungen haben können. Hier sollte sich jeder genau überlegen, ob er solche Informationen wirklich verkraften kann.
DNA-Tests sind niemals anonym
Die Durchführung von DNA-Tests ist in der Praxis nie wirklich anonym. Denn die Proben und Ergebnisse durchlaufen zu viele Stationen – vom Absender über das Labor bis hin zur Präsentation der Resultate auf einer Website. Es gibt zahlreiche Punkte, an denen diese Daten weitergegeben werden können.

Beispielsweise sieht die standardmässige Vereinbarung von AncestryDNA vor, dass die Daten an weitere Anbieter verkauft werden können. Auch wenn es theoretisch möglich ist, die eigenen Daten zu löschen oder sogar die Testprobe, die bis zu zehn Jahre aufbewahrt werden kann, zerstören zu lassen, ist dieser Prozess langwierig und kompliziert. Es ist nicht nur die Pharmaindustrie, die sich für diese Daten interessiert – auch Tech-Giganten wie Alphabet, die Muttergesellschaft von Google, stehen mit in der Reihe. Letztlich ist der Handel mit DNA-Daten ein lukratives Geschäft, das nicht nur durch die Gebühr für Testkits finanziert wird.
Es geht um die intimsten Daten
Wie bei vielen vermeintlich kostenlosen Angeboten im Internet ist auch bei DNA-Tests das eigentliche Produkt nicht der Test selbst, sondern die Daten, die man liefert. Diese gehören zu den persönlichsten und intimsten Informationen, die man besitzt und gehen weit über die eigene Abstammung hinaus.
Der Handel mit solchen Daten ist nicht nur aus finanziellen Gründen lukrativ, sondern auch ein ethisch problematisches Geschäft, da er tief in die Privatsphäre der Testenden und ihrer Angehörigen eingreift und oft unvorhersehbare Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Wer seine DNA zu einem solchen Test schickt, trifft Entscheidungen, die auch die Privatsphäre der gesamten Verwandtschaft betreffen – ohne deren Wissen oder Zustimmung. Dies ist nicht nur ethisch problematisch, sondern auch ein schwerwiegendes Datenschutzrisiko.
Der Fall des Golden State Killers
Der tatsächliche individuelle Informationsgehalt der Testkits mag gering sein. Doch der Preis, der dafür gezahlt wird, und das Risiko des Datenmissbrauchs sind übermässig hoch. Das Beispiel des Golden State Killers zeigt, welche weitreichenden Konsequenzen das Versenden von DNA-Proben an Testanbieter haben kann – und das nicht nur für die eigene Privatsphäre, sondern auch für die der gesamten Verwandtschaft.
Nach über 40 Jahren erfolgloser Ermittlungen konnte durch die Sichtung von Daten privater Gentests endlich ein Serienkiller gefasst werden, auf dessen Konto mindestens 12 Morde, 45 Vergewaltigungen und 120 Einbrüche gehen. Obwohl ein genetischer Fingerabdruck des Täters existierte, blieb dieser zunächst anonym. Doch 2018 änderte sich die Lage, als die Ermittler das Erbgut des Täters mit einer privaten DNA-Datenbank abglichen und fündig wurden. Dort hatten mehrere Verwandte des Killers ihre DNA testen lassen, und mithilfe einer Stammbaumforscherin konnte die Abstammung des Golden State Killers rekonstruiert werden. Weitere Analyseverfahren verengten den Kreis der Verdächtigen auf zwei Männer, von denen einer entlastet werden konnte. Übrig blieb der 73-jährige Ex-Polizist Joseph James DeAngelo, der im Anschluss überführt wurde. Diese Methode der Ermittlung wurde bisher in 50 Fällen erfolgreich angewendet.
Spucken in ein Teströhrchen und die Konsequenzen
Dieser Fall zeigt jedoch nicht nur, wie die DNA-Daten zu erstaunlichen Entdeckungen führen können, sondern auch die potenziellen Risiken und ethischen Bedenken, die mit der Nutzung solcher Daten in der Strafverfolgung verbunden sind. Die im Fall des Golden State Killers angewandte Methode der DNA-Analyse im Strafrecht ist jedoch nicht nur in den USA, sondern auch in europäischen Ländern, darunter Frankreich, mittlerweile gängige Praxis.
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In Frankreich existiert beispielsweise eine umfangreiche nationale DNA-Datenbank (Fichier National Automatisé des Empreintes Génétiques, FNAEG), die DNA-Proben von Verdächtigen und verurteilten Straftätern speichert und zunehmend auch von Polizei und Gendarmerie zur Aufklärung von Verbrechen genutzt wird. Darüber hinaus gibt es Bestrebungen, den Austausch von DNA-Daten innerhalb der EU zu automatisieren.
Trotz der potenziellen Vorteile dieser Methoden bei der Aufklärung schwerer Verbrechen, werfen sie grundlegende Fragen zum Schutz der Privatsphäre auf. Der Handel mit DNA-Daten – selbst im Namen der Gerechtigkeit – kann weitreichende Folgen haben und birgt die Gefahr, dass die Privatsphäre der Testenden, und auch ihrer Angehörigen, in unvorhersehbarem Masse verletzt wird. Wer seine DNA für eine Analyse zur Verfügung stellt, öffnet Türen, die möglicherweise nie wieder geschlossen werden können. Dies stellt nicht nur eine potenzielle Gefahr für die Privatsphäre, sondern auch für die Unschuldsvermutung dar.