Es nennt sich positives Denken, «neues Denken», «richtiges Denken», «Kraftdenken», «mentaler Positivismus» oder auch neu «Lucky Girl Syndrome. Eine schnelle Suche nach diesen Begriffen im App-Store liefert zahlreiche Ergebnisse. Diese Methoden der Selbststeuerung durch positives Denken haben ihren Weg auf unsere Smartphones gefunden und damit im 21. Jahrhundert einen neuen digitalen Aufschwung erlebt. Doch obwohl sie heute besonders populär erscheinen, sind die zugrundeliegenden Praktiken alles andere als neu.
Ursprung und Entwicklung
Die Wurzeln von Affirmationen und Manifestationen liegen tief in der Geschichte. Die Idee, dass Sprache eine schöpferische Kraft besitzt und der Geist die Materie beeinflussen kann, stammt bereits aus der Antike. Im 19. Jahrhundert erlebten diese Konzepte in den USA mit der «New-Thought-Bewegung» einen Aufschwung, die das sogenannte positive Denken prägte. Auch in Europa und Asien verbreitete sich dieser Ansatz und fand zahlreiche Anhänger und Befürworterinnen.
Affirmationen sind positive Glaubenssätze, die das Denken und Handeln beeinflussen sollen. Manifestation geht noch einen Schritt weiter: Indem Ziele oder Wünsche ausgesprochen werden, sollen sie Wirklichkeit werden. Diese Methoden sind heute besonders beliebt, da sie einfach anzuwenden sind und weder besondere Rituale noch Treffen erfordern.
In den letzten Jahren haben sie durch soziale Medien, insbesondere durch TikToks «Lucky Girl Syndrome», einen regelrechten Boom erfahren. Oft werden sie in Verbindung mit Versprechen von Erfolg, Gesundheit und Glück vermarktet. Unterstützung erhalten diese Methoden durch Bücher und Apps, die subtile, immer wieder eingespielte Botschaften verwenden, um das Unterbewusstsein zu beeinflussen.
Kann das wirklich funktionieren?
Die Theorie hinter Affirmationen besagt, dass sie eine positive Kettenreaktion auslösen können. Wer sich immer wieder bestimmte Glaubenssätze vorsagt, beginnt irgendwann, diese zu verinnerlichen. Dieses neue Selbstvertrauen zeigt sich dann etwa im Berufsalltag – man tritt sicherer auf, was wiederum zu positiver Resonanz führt und den eigenen Erfolg weiter befeuert.
In der Sozialpsychologie wird dieses Phänomen als «selbst erfüllende Prophezeiung» beschrieben. Affirmationen gelten dort als Mittel, um das eigene Selbstwertgefühl nachhaltig zu stärken.
Risiken und Nebenwirkungen
Es ist wichtig, Manifestation und Affirmationen nicht unkritisch als rein positive Praktiken zu sehen. Das Vertrauen in diese Methoden birgt Risiken, vor allem wenn reale Probleme durch den Fokus auf positive Gedanken ignoriert oder unterschätzt werden. Wenn Menschen sich ausschliesslich auf Manifestation verlassen, ohne notwendige Massnahmen zu ergreifen, könnten sie langfristig enttäuscht werden. Die Gefahr besteht, dass sie das Gefühl bekommen, selbst schuld zu sein, wenn Ziele nicht erreicht werden, obwohl äussere Faktoren oft eine Rolle spielen. Dies kann das Selbstwertgefühl negativ beeinflussen. Besonders für Menschen mit geringem Selbstbewusstsein kann Manifestation und positives Denken daher nicht nur nutzlos, sondern sogar schädlich sein.
Die wissenschaftliche Grundlage für Manifestation ist zudem schwach. Während positive Gedanken sicherlich vorteilhaft sein können, ersetzen sie keine realistischen Planungen oder praktischen Handlungen.
Das Menschenbild, das dieser Praxis zugrunde liegt, reduziert den Menschen auf eine Art Marionette des eigenen Wunschdenkens und fördert eine egozentrische Weltanschauung, in der zwischenmenschliche Werte und moralische Grundsätze zweitrangig werden.
Auch die kommerziellen Aspekte, wie Apps, die Hoffnung auf Erfolg verkaufen, sollten kritisch hinterfragt werden.
Insgesamt sollte Manifestation nicht isoliert betrachtet werden. Eine realistische Herangehensweise, die äussere Umstände und praktische Massnahmen einbezieht, ist weitaus effektiver. Affirmationen und Manifestationen sind am nützlichsten, wenn sie mit konkreten, zielgerichteten Schritten kombiniert werden, um persönliche und berufliche Ziele tatsächlich zu erreichen.